Social Media und Ernährung

Warum ich als Ernährungswissenschaftlerin die sozialen Medien auch weiterhin nutzen sollte?

Schon seit Monaten kreist ein Blogartikel zum Thema Social Media im Kontext Ernährungswissenschaften vor meinem inneren Auge. Doch wie das mit Beiträgen auf dem eigenen Blog oft so passiert: ist kein zahlender Auftraggeber und somit keine Deadline vorhanden, benötigt es oft einen Stups von aussen, der die Idee im Kopf reifen lässt und an der Tastatur umsetzt. In diesem Fall war es der crossmediale Beitrag von Nena S. in „orange“ – den jungen Seiten des Handelsblatts, in dem diese medienwirksam - und ganz sicher mit vielen zusätzlichen Likes - auf ihre Weise Klartext redet über Pseudoidole, Follower, fehlende Inhalte und Selbstverherrlichung in den Social Media – und warum die Influencer-Welt sie „anekelt“. So weit so gut. Bis heute (15.6., 20:00 Uhr) bekam sie alleine dafür rund 2 300 Likes auf ihrem Profil auf LinkedIn, dem wohl aktuell noch professionellsten aller Social Media-Kanäle.

 

Doch zurück zu den Ernährungswissenschaften. Seit einiger Zeit ist die Rolle der Social Media vor allem in diesem Bereich DAS Thema. Ernährung ist omnipräsent und gleichzeitig Lifestyle und Religionsersatz. Entsprechend wird es auch in den sozialen Medien inszeniert. Haben Verbraucher Fragen zu Ernährungsthemen, suchen sie mit Hashtags wahlweise auf Facebook, Instagram,  Twitter oder anderen danach. Diese Portale liefern die Antworten - oft in den Profilen  der selbsternannten, medial erfahrenen Ernährungsgurus. Leider weniger oft auf den Portalen der anerkannten Fachgesellschaften im Bereich Ernährung oder Institutionen auf Bundesebene. Verstehen wir darunter wirklich gute und fundierte Ernährungskommunikation?

Wissenschaftlich unterwegs im gehypten Land?

Wie verhalte ich als selbständig tätige Ernährungswissenschaftlerin mich also  in Bezug auf Präsenz in den sozialen Medien? Zusätzlich zu meinen anderen Aufgaben und Projekten. Auf allen Kanälen vertreten sein? Auf ausgewählten? Welche sind das?

 

Bei dieser wirklich schwierigen Frage hilft mir leider auch der vor wenigen Tagen erschienene Blogbeitrag („Was befähigt eine Influencerin, Kochbücher zu schreiben?“) von Friedhelm Mühleib auf seinem Tellerrandblog nicht viel weiter, obwohl dieser eigentlich zu meinen Favoriten im Bereich der Ernährungskommunikation gehört. Hier ist von Phantasien und NetzaktivistInnen die Rede, einer Handvoll Institutionen, die die Illusion schüren, das Ernährungsverhalten könne über die Social Media beeinflusst werden. Phantasien, Illusion, das Ernährungsverhalten beeinflussen? Nein, das können die Social Media nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge vermutlich nicht. Aber wissen wir denn, was sie können? Instagram beispielsweise ist ja noch nicht mal 10 Jahre alt.

Facebook, Twitter und Instagram

versus

Fernsehen, trockene Texte und Informationsbroschüren

Keinesfalls sollten wir als ExpertInnen im Bereich Ernährung aber dazu kommen lassen, dass es uns geht wie unlängst anderen öffentlichen Personen, die offenbar mit der Wirkung und den Regeln sozialer Medien nicht umgehen können und sich im falschen Kontext über „hatespeaker“ oder „biblische Plagen“ echauffierten. Ein schlechtes Beispiel ist auch die Unbeholfenheit und das lange Ausbleiben einer angemessenen Reaktion auf das Video von Youtuber Rezo. Wenn wir möchten, dass unsere (Ernährungs-) Botschaften besser und vor allem von einem anderen Publikum über die Social Media wahrgenommen werden, dann sollten wir uns im Umgang damit schulen und üben. Auch – oder umso mehr - wenn diese Blase eines Tages in sich zusammenfallen sollte. Denn was kommt dann und übernimmt die fundierte Information?

Mein Beitrag - meine Präsenz

So poste auch ich mehr oder weniger regelmässig Blogbeiträge und bin unter meinem eigenen Namen oder als „vitamintexte“ auf den Portalen LinkedIn, Facebook, Twitter und Pinterest vertreten. Mehr schaffe ich zeitlich beim besten Willen nicht. Möchte ich auch gar nicht. Schliesslich ist das nicht mein Kerngeschäft.

 

LinkedIn ist mein berufliches Netzwerk. Dort poste ich Beiträge zu aktuellen Entwicklungen (Stichwort: Nährwertkennzeichnung) oder zu Themen, die mein berufliches Angebot betreffen (wie z.B. Nudging oder Betriebliches Gesundheitsmanagement). Oder ich informiere mich über die Aktivitäten meiner zahlreichen Kontakte, nicht nur im Bereich Ernährungs-kommunikation. 

 

Während LinkedIn ganz klar den Kanal B2B bedient, nutze ich mit vitamintexte  Facebook vor allem im B2C-Bereich. Hier poste ich auch mal ein Rezept, eine Restaurantkritik, einen Veranstaltungshinweis oder einfach Links zu gut gemachter Ernährungskommunikation. Die meisten Klicks erreiche ich mit Filmen oder animierten Videos. Seit diesem Jahr habe ich eine monatliche „Themenwoche“ eingeführt. Zu Themen wie „Dry January“, „Fleisch“, „Foodwaste“ und „Nahrungsergänzungsmittel“. Jeden Monat eine Woche lang Beiträge zu einem Thema. Die Themenwoche für Juni ist in Bearbeitung (und wird an dieser Stelle nicht gespoilert 😉).

 

Pinterest als digitale Pinnwand finde ich äussert praktisch zum Sammeln und Zusammenstellen vor nützlichen Informationen zu einem Themengebiet. Oft erstelle ich bei Vorträgen eine neue Pinnwand zum Vortragsthema und schalte sie dann frei. Hier finden sich Pinnwände zu „Ausgewogen statt abgewogen“ oder auch „Peranakan Food“. Der Fundus ist riesig, ich kann stetig ergänzen und sammeln oder neue Pinnwände anlegen, die ich dann freischalte, wenn ich oder der/die Auftraggebende sie benötigen.

 

Das Bedürfnis zu „twittern“ kam bei mir erst zu Beginn dieses Jahres. Hier gefällt mir vor allem, dass ich mich gleichzeitig über parallele Entwicklungen und Entscheidungen im Themenfeld Ernährung in Deutschland und in der Schweiz informieren und den Blick über den Tellerrand bewahren kann. Als in Deutschland ausgebildete und in der Schweiz tätige Ernährungswissenschaftlerin manchmal eine Herausforderung. Auch Ernährung und Politik sind hier als Thema gut vertreten. Besonders auf Twitter vermisse ich aber manchmal auch ein bisschen mehr Schweizer Präsenz. Von den 920 000 Nutzern 2018 scheinen nur wenige über Ernährungsthemen zu twittern - oder „followe“ ich hier etwa den falschen?

 

Den beruflichen Kontakt zu Instagram scheue ich derzeit (noch). Portale auf denen sich die Millionen Follower mehr für schöne Bilder als für Inhalte interessieren, haben mich noch nie überzeugt. Hier manifestiert sich mein Eindruck am ehesten, dass das ganze „Social-Media-Gedöns“ ein Geschäft ist, deren Währung die Follower sind. Für Unternehmen und Kampagnen mag das relevant sein. Für mich als eine von vielen der freiberuflich tätigen ErnährungswissenschaftlerInnen eher weniger. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich aus einem Follower ein potenzieller Auftraggeber entwickelt, schätze ich eher als gering ein (wenn auch nicht unmöglich). Fotos von angerichteten Tellern gibt es indes auf Instagram wahrlich schon genug. Das muss ich nicht auch noch fotografieren und posten, wenn ich eigentlich gerade essen möchte. Oder mir sogar über mögliche Rechte an einem Foto Gedanken machen, wenn ich mal im Restaurant sitze und der Teller kunstvoll angerichtet ist. Juristen reden hier von einer „Schöpfungshöhe“, die ein Gericht haben muss, um als Kunst zu gelten. Uff!

 

A propos Schöpfungshöhe: da stellte sich noch eine Frage:

Was befähigt eine Influencerin, Kochbücher zu schreiben?

Kochbücher schreiben kann jedeR von uns. Rezepturen unterliegen nicht dem Urheberrecht und beispielsweise Zutatenlisten und Mengenangaben (und somit das Kernstück eines Rezeptes) sind nicht geschützt. Die Kochanleitungen selber gelten jedoch unter Umständen als „Sprachwerk“ und können prinzipiell urheberrechtlich geschützt sein. Das Gleiche gilt natürlich auch für Fotos. Und da kommt dann wieder Instagram ins Spiel. Also kein Hexenwerk. Dazu muss man keine fundierte Ausbildung in dem Bereich haben. Höchstens einen Namen, viele Likes und einen guten Agenten bei einem renommierten (Kochbuch-)verlag. Allein in Deutschland erscheinen jährlich Dutzende (gefühlt Hunderte) von neuen Kochbüchern. Klingen Titel wie „You deserve this“, „Abnehmen mit Brot und Kuchen“ oder „Inner Glow“ nach fundierter Ernährungskommunikation? Im übersättigten Kochbuchmarkt wird jede Fangemeinde zur Zielgruppe.

Was können wir  ErnährungswissenschaftlerInnen also tun?

Steter Tropfen höhlt den Stein. Das permanente crossmediale Posten von Ernährungsinhalten auf Social Media birgt zumindest die Chance, die „Kunden“ zu erreichen, die wir auf die herkömmliche Art (schnödes Internet) nicht berühren können. Als ExpertInnen im Bereich Ernährung können wir fachliche Expertise bieten und aufgrund unserer Ausbildung auch besser selektieren und somit Sinn von Ernährungsunsinn unterscheiden. Vielleicht fehlt es uns hier einfach auch noch an ein bisschen mehr "Selbstdarstellung" im positiven Sinne. Die Gratwanderung finde ich hier aber nicht immer ganz einfach. Zudem plädiere ich für „Klasse statt Masse“ und „weniger ist mehr“. Mein Ehrgeiz ist es definitiv nicht Micro- oder (die stark verkleinerte Form) Nano-Influencerin zu sein. Aber fundiert mitmischen sollten wir ErnährungswissenschaftlerInnen auch in Zukunft unbedingt.

 

In eigener Sache: seit gestern zählt die Facebook-Seite von vitamintexte 100 FollowerInnen (und das war im Übrigen die zweite extrinsische Motivation für diesen Blogbeitrag). Damit darf ich mich jetzt auch Nano- oder gar erst Piko-Influencerin nennen? Jedenfalls freut es mich und macht mich auch ein bisschen zufrieden.

Kommentare: 4
  • #4

    Gabriela Freitag-Ziegler (Dienstag, 18 Juni 2019 22:27)

    Liebe Melanie,

    vielen Dank, dass du dir die Zeit und Mühe für diesen Beitrag genommen hast. Du sprichst mir aus der Seele und motivierst mich, genau so weiterzumachen wie bisher: Klasse statt Masse, mitmischen im Sinne von "gemeinsam besser sichtbar" oder "sichtbar, hörbar, vernetzt", wie die Ernährungs-Umschau letztes Jahr titelte. So macht übrigens auch die Arbeit als Freiberuflerin einfach mehr Spaß. Mich haben Social Media in den letzten Jahren unterm Strich jedenfalls bereichert, auch wenn ich nicht alle Kanäle gleichermaßen schätze ;-)

    Herzliche Grüße in die Schweiz von Gabi

  • #3

    vitamintexte - Melanie Loessner (Montag, 17 Juni 2019 16:04)

    Liebe Sonja, Danke für Deinen Beitrag. Die Frage ist gut und beschäftigt auch mich sehr. Zum einen engagieren sich Unmengen an Personen mit wenig Inhalten sehr effizient und medienwirksam im Netz, andererseits kenne ich so viele, die wirklich was zu sagen hätten, und komplett darauf verzichten. Vielleicht warst Du mit Deinem Angebot 2010 einfach der Zeit ein Stück zu weit voraus? Oder die Geschehnisse in der breiten Öffentlichkeit in den vergangenen Wochen heizen die Diskussion zur Zeit sehr stark an und wir nehmen es plötzlich als sehr dringend und unaufschiebbar wahr? JedeR von uns kann und soll eine eigene Meinung haben, wo und wie er/sie sich engagieren möchte. Wichtig ist für mich, dass wir es einigermassen geschickt nutzen und nicht zuletzt durch Netzwerken und Austausch voneinander lernen. Herzliche Grüsse, Melanie

  • #2

    Sonja Mannhardt (Montag, 17 Juni 2019 09:06)

    Liebe Melanie, danke für diesen Beitrag, der längst überfällig ist.

    Was mich nur sehr verwundert: von 2010-2012 habe ich bereits Webinare zum Thema angeboten. Kaum eine Kollegin hat sich interessiert und selbst diejenigen, die die Webinare besuchten haben teilweise noch heute keinerlei Zugang zu social media und weder einen Xing, noch FB, noch Twitter, noch LinkedIN nich Instagram Account. Wie erklärst du dir dieses jahrelange Desinteresse unter Fachkollegen und plötzlich seit letztem Jahr dieses „Erwachen“ aus dem Dornröschenschlaf?

    Deine Meinung interessiert mich�

    Sonja

  • #1

    Andrea Lambeck (Sonntag, 16 Juni 2019 10:34)

    Liebe Melanie, Kompliment zum sehr reflektierten Beitrag, der hoffentlich viele Ernährungswissenschaftler/Oecotrophologen motiviert, ebenfalls selbstbewusst in den Sozialen Medien aktiv zu sein oder zu werden.
    Und natürlich herzlichen Glückwunsch zu den ersten 100 Followern - mögen es bald noch viel mehr werden!